In der Welt des Softwaretestens gelten Code Coverage und Automatisierungsquote oft als die heiligen Grale der Qualitätsmessung. Eine Testabdeckung von 90 %? Beeindruckend! Eine Automatisierungsquote von 95 %? Fantastisch! Aber was sagen diese Zahlen tatsächlich über die Gesamtqualität einer Anwendung, oder über die Professionalität des QA-Teams aus? Überraschend wenig – wenn sie isoliert betrachtet werden.
Zahlen sind nicht gleich Qualität
Die Versuchung ist groß, in KPIs wie Code Coverage oder Automatisierungsquote die ultimative Antwort auf Qualitätsfragen zu sehen. Schließlich sind sie messbar, leicht zu kommunizieren und suggerieren Fortschritt. Doch hier liegt auch das Problem: Diese Kennzahlen haben ihre Schattenseiten.
- Code Coverage: Eine hohe Codeabdeckung bedeutet nicht automatisch, dass die Tests sinnvoll oder eƯektiv sind. 100 % Coverage können durch oberflächliche Tests erreicht werden, die die eigentliche Logik oder Randfälle ignorieren.
- Automatisierungsquote: Eine hohe Automatisierungsrate ist nur dann wertvoll, wenn die automatisierten Tests tatsächlich robust und relevant sind. Zu viele automatisierte Tests können zudem die Wartbarkeit beeinträchtigen, besonders in komplexen Systemen.
Qualität ist mehr als eine Zahl
Ich habe Teams gesehen, die mit niedriger Automatisierungsquote und mittlerer Code Coverage arbeiten – und dennoch eine beeindruckende Qualität liefern. Warum? Weil ihre agilen Tester und Entwickler die Qualität als Ganzes verstehen:
- Sie setzen gezielt auf exploratives Testen, um Schwächen zu finden, die automatisierte
Tests nicht abdecken können. - Sie fokussieren sich auf die Risiken und die kritischen Bereiche der Anwendung, anstatt
sich in KPI-Zahlen zu verlieren. - Sie schaffen eine Kultur, in der Qualität mehr bedeutet als das Erfüllen von Zielvorgaben.
Andererseits gibt es Teams, die beeindruckende Zahlen liefern – aber deren Anwendungen voller Probleme stecken. Hier zeigt sich: Gute KPIs allein führen nicht automatisch zu guter Qualität.
Kontext ist alles
Die Qualität einer Anwendung und die Arbeit eines Test-Teams müssen immer im Kontext betrachtet werden:
- Welche Anforderungen gibt es? Manche Systeme sind so komplex, dass eine hohe Automatisierungsquote unrealistisch ist.
- Wie ist die Teamstruktur? Ein erfahrenes Team mit starkem Fokus auf Qualität kann ohne beeindruckende KPIs herausragende Arbeit leisten.
- Welche Herausforderungen gibt es? Unterschiedliche Anwendungen erfordern unterschiedliche Testansätze – was in einem Kontext funktioniert, kann in einem anderen scheitern.
KPIs sind Werkzeuge, keine Ziele
Code Coverage und Automatisierungsquote sind nützliche Werkzeuge, um die eigene Arbeit zu reflektieren und Ansätze zu verbessern. Doch sie sollten niemals zum alleinigen Maßstab für Qualität werden. Die wahren Indikatoren für eine starke Qualität sind:
- Eine stabile Anwendung, die Nutzern echten Mehrwert bietet.
- Ein Team, das agil auf Herausforderungen reagieren und sich kontinuierlich
verbessern kann. - Eine Kultur, die Qualität nicht nur misst, sondern lebt.
Fazit: Qualität ist mehr als KPI-Glanz
Die Zahlen mögen gut aussehen, aber wahre Qualität liegt in der Tiefe – und die lässt sich nicht auf eine einzige KPI reduzieren. Stattdessen sollten wir KPIs immer als Teil eines größeren Bildes betrachten, eingebettet in den Kontext der Anwendung, des Teams und der Unternehmensziele.
Denn am Ende zählt nicht, wie viele Prozent abgedeckt sind oder automatisiert wurden – sondern wie gut die Anwendung wirklich ist.
